Große Ereignisse prägen die Mode. Ein Blick zurück und einer nach vorn.
Alles, was unsere Gesellschaften prägte, hinterließ auch Wellen in der Mode. Mode ist ein Spiegel der Gesellschaft. Die Vergangenheit hat das immer wieder gezeigt. Sicherlich sind die Weltkriege zwei plakative Beispiele dafür. Das gilt insbesondere für die Zeiten, die folgten.
Der 1. Weltkrieg & die „Roaring Twenties“
Der Erste – als der Begriff Weltkrieg noch etwas Neues an sich hatte – zeigte seine gesellschaftlichen Wellen und Modeauswirkungen in den 20ern. „The Roaring Twenties“ – dieser Begriff steht nicht nur für Jazz Clubs und Alkohol. Er steht für einen durch den Krieg ausgelösten Lebenshunger und das Bewusstsein, dass das Leben jederzeit enden kann. Insbesondere für Frauen war dies eine umwälzende Zeit. Durch den Krieg waren sie berufstätig geworden sind es geblieben. Praktische, bequeme Kleidung und unkomplizierte Frisuren waren angesagt. Die Korsetts, vor Kriegsbeginn noch ein Standard, wurden durch leichte Wäsche ersetzt. Lose, kurze Kleider ohne Korsett erfüllten alle Ansprüche der modernen, arbeitenden Frau. Dazu der Kurzhaarschnitt, damals noch ein Novum. Üppig glitzernde Abendkleider und Riemchenschuhe spiegelten die berauschende Feierlaune wieder. Vermutlich war sie genauso ein Zeichen von Lebenshunger, wie auch Verdrängungsmechanismus. Frauen waren gesellschaftlich und in ihrer Kleidung noch nie so frei.

Das abrupte Ende kam mit der Weltwirtschaftskrise. Luxuriöser Glitzer und Schmuck waren nicht mehr „in“. Wie wollte man so ausstaffiert jemandem gegenübertreten, der um seine Existenz kämpft?
Die 30er: So dezent, dass sogar Brautkleider schlicht wurden. Der Designer Mainbocher entwarf dieses schlichte Kleid für Wallis Simpson, die zukünftige Herzogin von Windsor.

Die 30er: So dezent, dass sogar Brautkleider schlicht wurden. Der Designer Mainbocher entwarf dieses schlichte Kleid für Wallis Simpson, die zukünftige Herzogin von Windsor.
Der 2. Weltkrieg & die braven 50er
Während des Krieges waren Rationierungen und Sparmaßnahmen auch in der Mode zu spüren. Etwas, dass wir uns in Zeiten der Fast Fashion kaum vorstellen können. Die US-Regierung veröffentlichte Schnittmuster für Frauen-Arbeitskleidung. Die Briten reglementierten, wieviel Stoff und wie viele Knöpfe für einen Mantel gebraucht werden dürfen. Die Zivilistinnen sparten, wo es nur ging. Schnittmuster aus der Zeit haben oft dekorative Einsätze und Teilungen. Praktisch eine Möglichkeit, auch kleine Stoffreste weiterzuverwenden und sparsam zuzuschneiden.

Schmale Kleider lassen sich mit weniger Stoff umsetzen. Mehrfarbige Designs mit Nähten sparen noch mehr Stoff und auch Reste werden verarbeitet.

Eine amerikanische Behörde entwirft Schnittmuster für die arbeitende Frau. Jahr unbekannt, vermutlich Mitte-Ende der 40er Jahre

Das Ende des Krieges produzierte gegensätzliche Sehnsüchte. Heile Welt, Zuhause, Familie, Sicherheit und Wohlstand (was man damals darunter verstand). Eine brave Ordnung, der jeder folgen konnte. Entsprechend war die Mode. Elegant und weiblich, aber zugeknöpft. Üppig, ein Zeichen des Wohlstandes im Wirtschaftswunder. Und ein krasser Gegensatz zu Sparmaßnahmen und der Arbeitskleidung der 40er Jahre.

Cocktailkleider, ein Zeichen von neuem Wohlstand und Luxus
Die heile, sichere Welt wird auch durch eine Flut von Regeln und Normen gesichert, welche das neue „normal“ definieren. Das erreicht auch schnell die Mode. Das Buch „ABC der Mode“ von Christian Dior listet zu jedem Buchstaben solche Regeln auf und erklärt, was für welches Alter, welchen Anlass, welchen Geldbeutel angemessen ist.

9/11: Ein aktuelleres Beispiel
Kleiner Zeitsprung: Nach 9/11 wurde die Mode von Hippie- und Ethno-Elementen durchzogen. Schlagjeans, Paisleymuster, Trompetenärmel, usw. Ausdruck der Sehnsucht nach Frieden („Peace“) und einer einfacheren Welt.
Spanisches Magazin Patrones, Ausgabe 208, Mai 2003, S.6 & S. 12
Spanisches Magazin Patrones, Ausgabe 233, Juni 2005, S.20 & 32
Und heute?
Lange hat es nichts gegeben, was so viele Menschen auf der Welt so nachhaltig beeinflusst hat, wie die aktuelle Pandemie. Sie hält an, verändert das Leben aller Menschen. Für manche ganz wenig, Maske tragen beim Einkaufen. Für andere lebens- oder existenzbedrohend. Sicher aber sind die Veränderungen anhaltend. Hier in Deutschland ist der Shutdown schon 6 Monate her und das Virus ist nach wie vor allgegenwärtig.
Hat das unsere Mode beeinflusst? Im Sommer sicher nicht. Unser Hunger nach Pause und Erholung war diesen Sommer grösser als sonst. Für viele Deutsche ist der Sommerurlaub das unverzichtbare Highlight des Jahres, die unverzichtbare Gegenleistung für das eigene Leisten und Aushalten. Es scheint, die Fähigkeit zur Erholung und zum Genuss wird durch direkte Sonneneinstrahlung verstärkt. So wurde die Maske kombiniert zu bunten luftigen Hemden und Kleidchen und einem kollektiven Aufatmen nach dem Shutdown.
Und jetzt? Mit Beginn des Herbstes ändert sich auch die Dynamik der Pandemie. Wird es die Mode prägen? Stoff ist heute zu billig, um rationiert zu werden. In Zeiten von Fast Fashion und Influencern kommen monatlich neue Kollektionen in die Läden. Konkrete Trends sind in der Vielfalt des Angebots verschwunden.
Also sehen wir vielleicht mehr als einen Trend.
Ich lass mich nicht aufhalten
Für viele Menschen ist es wichtig zu zeigen, dass sie an ihrem gewohnten Leben festhalten und mit den Veränderungen entspannt umgehen. So kommt Werbung wie diese zustande. Eine bestickte Maske im Luxusdesign vermittelt eine Art von Leichtigkeit und Resistenz.

Bewusstsein und Empathie
Sieht eine Maske gut aus zu einem schulterfreien Kleid? In Zeiten des Abstandhaltens kann nackte Haut seltsam unangebracht wirken. Wenn andere Menschen leiden, wie sehr muss sie dann der neueste, schreiend bunte Trend anöden. Die 30er lassen grüßen. Es ist durchaus möglich, dass das Volumen und die kräftigen Farben, die noch im Frühjahr angesagt waren, verschwinden. Zumal uns der Herbst sowieso gedeckte Farben bringt.
Die Krise verschiebt Werte
Egal, was wir tragen werden, die Pandemie hat für viele Menschen einen Denkanstoß gegeben. Der Shutdown hat uns allen gezeigt, wie sehr wir an die sofortige Verfügbarkeit so ziemlich jeden Guts und jeden Vergnügens gewöhnt waren. Gezwungenermaßen wurde klar, mit wieviel weniger Spontankonsum wir durch das Leben kommen. Nachhaltigkeit rückt in den Fokus. In Bezug auf die Mode könnte das die Wiederkehr hochwertigerer, haltbarerer Materialien sein. Selbermachen ist wieder angesagt. Beides gibt einem einzelnen Kleidungsstück mehr Wert, mehr Bedeutung.

Persönliches Fazit
Letzten Endes müssen wir alle selbst entscheiden, was unsere Kleidung für uns bedeuten soll und was wir mit ihr ausdrücken wollen.
Vermutlich werden wir mehr Retrotrends, weniger Farbe und weniger Volumen sehen. Da treffen sich die modischen Entwicklungen vor Corona und heutige gesellschaftliche Anforderungen.
Für mich passen die 40er gut. Eine Mode, die alltagstauglich ist. Sie vermittelt Durchhaltevermögen und ist frei von übermäßigem Luxus und sonstigem Firlefanz. Dekor entsteht durch Handwerk, nicht durch Glitzer. Sie erinnert uns an Zeiten, in denen unsere Großmütter und Urgroßmütter noch ganz andere Sachen durchgestanden haben.

Schauen Sie sich das Bild der Moderatorin an. Vom Neongelb werden wir uns sicherlich verabschieden. Die Retroformen von Pullover und Hose dagegen werden vermutlich bleiben.
Schade wäre nur, wenn sich überhaupt nichts verändern würde, wenn Mode mit der der Welt, in der wir leben, nicht agieren würde. Dann wäre die Reaktion der Menschen auf die Krise ausgeblieben, zumindest teilweise. Dann wäre die Mode zum ersten Mal in unserer bewegten Zeit zerstört.
